Mit dem Beginn der digitalen Revolution in den 1980er Jahren wurde auch der Begriff des gläsernen Menschen geprägt. Es sollte kritisch auf das Faktum hinweisen, dass der Staat und Institutionen mithilfe digitaler Mittel immer mehr und mehr Daten über uns BürgerInnen sammeln. Mit dem gläsernen Menschen wolle der Staat einen durchsichtigen Menschen schaffen, der sich gut lenken und kontrollieren ließe. Das sei eine Gefahr für Privatheit, Freiheit und Demokratie. Ganz von der Hand zu weisen ist diese Kritik nicht und inzwischen sind wir bei diesem Thema auch schon sehr sensibilisiert. Wobei wir heute weniger dem Staat als vielmehr privaten Datensammlern misstrauen müssen.
Aber das Thema betrifft nicht nur Menschen sondern auch Schiffe. Die Geburtsstunde des gläsernen Schiffes ist der 31. Dezember 2004. Seit diesem Zeitpunkt gibt es in der Berufsschifffahrt eine Ausrüstungspflicht mit einem relativ unscheinbaren Geräts namens AIS Transponder. Hinter den 3 Buchstaben verbirgt sich das Automatic Identification System und der Name verrät hier schon deutlich den Zweck.
Über Funk werden automatisch Daten wie Standort, Kurs, Geschwindigkeit oder die MMSI Nummer, das internationale Kennzeichen eines Schiffs, übermittelt. Die Daten sollen dazu dienen Kollisionen zu verhindern, Informationen über Schiffe zu bekommen und den Schiffsverkehr zu lenken. Die AIS Daten werden auch gespeichert und veröffentlicht. So kann man etwa über Webseiten wie Marine Traffic oder Shipfinder verfolgen, was sich auf den Ozeanen so herumtummelt.
Aber das AIS kann natürlich auch abgeschaltet werden, etwa wenn man sich für Piraten oder Fischereikonkurrenz unsichtbar machen will. Oder wenn man illegalen Fischfang betreibt. Die NGO Global Fishing Watch hat nun aber Computermodelle entwickelt, die auffällige Abschaltungen von AIS aufspürt, etwa in der Nähe von Kühlschiffen, was auf illegale Umladungen hinweist.
Die Pflicht, sich auf See automatisch und immer zu identifizieren, gilt allerdings nicht für die private Schifffahrt, also sogenannte pleasure crafts., dennoch wird AIS auch privat und ganz freiwillig immer öfter auf Yachten genutzt. Auch wir haben es an Bord und es läuft automatisch mit, sobald unser Funkgerät in Betrieb ist. Für uns stellt es einen großen Gewinn an Sicherheit dar, weil wir in einem von der Großschifffahrt stark genutzten Gebiet unterwegs sind. Gute zwei Seemeilen gegenüber unserer Heimatmarina bei Triest beginnt die wichtige europäische Pipeline TAL, die Erdöl in den Norden liefert. Ein Tanker löst den nächsten ab und auch Schlepper sind ständig unterwegs. Dazu kommen noch zahlreiche Containerschiffe und Fähren. Da ist es schon hilfreich, den Verkehr am AIS- Schirm zu haben.
So sind wir nun auch eine gläserne Yacht und unsere Daten werden nicht nur übermittelt sondern auch gespeichert. Unanonymisiert mit allen Informationen zur Identität unserer HR 312, Stella Polare, MMSI 203249199.
Allem Datenschutz zum Trotz sehen wir das eigentlich viel gelassener als an Land. Vielleicht weil sehen und gesehen werden auf See ein ganz andere Bedeutung hat. Oder weil wir ohnehin dazu verpflichtet sind, am Sprechfunk andauernd mitzuhören, was andere Crews so kommunizieren und es als Pflicht verstehen, damit verantwortungsvoll umzugehen.
Vielleicht fällt es uns als Segler aber auch nicht so schwer, kleine Freiheiten aufzugeben, weil wir ohnehin die große Freiheit des Meeres leben dürfen. Oder wie es der französische Schriftsteller Albert Camus formulierte: „Die Freiheit besteht in erster Linie nicht aus Privilegien, sondern aus Pflichten.“.