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Welcome Venice, 2021

Venedig gab schon immer eine großartige Filmkulisse ab. Das liegt wohl auch daran, dass Venedig selbst etwas kulissenhaftes hat. Bei Welcome Venice ist das anders, denn der Film bedient sich nicht der Kulissen Venedigs sondern dringt humorvoll, tragisch und berührend, tief in die Seele Venedigs oder vielmehr in die Seele der Lagune von Venedig ein. 

Die Geschich­te dreht sich um einen Fami­li­en­kon­flikt, in des­sen Zen­trum die drei Brü­der Toni, Pie­ro und Alvi­se ste­hen, die bis­her sehr unter­schied­lich durchs Leben gegan­gen sind aber den­noch durch die glei­chen Wur­zeln anein­an­der gebun­den sind. Die­se Wur­zeln lie­gen auf der Insel Giudec­ca in Vene­dig, wo sie auf­ge­wach­sen sind. In ihrem pit­to­res­ken Haus auf Giudec­ca tref­fen sie mit ihren Fami­li­en zusam­men um Geburts­tag zu fei­ern. Alvi­se, der sei­ne Her­kunft unter fei­nen Anzü­gen ver­steckt, lebt längst am Fest­land, ver­dient aber sein Geld durch die Inves­ti­ti­on in Feri­en­woh­nun­gen in Vene­dig und deren Ver­mie­tung. Toni ist dem Beruf sei­nes Vaters, eines tra­di­tio­nel­len Fischers in der Lagu­ne von Vene­dig, treu geblie­ben. Spe­zia­li­siert ist er wie jeher auf den Fang der moe­che, das sind fei­ne Kreb­se, die als Deli­ka­tes­se gel­ten. Pie­ro, ein Stur­kopf und Drauf­gän­ger, ist auf die schie­fe Bahn gera­ten und ist, nach einer Gefäng­nis­stra­fe wie­der auf die Bei­ne gekom­men, indem ihm sein Bru­der Toni in das kar­ge Fische­rei­ge­schäft mit­hin­ein genom­men hat.

Nach dem Fami­li­en­fest zer­streu­en sich die Prot­ago­nis­ten wie­der. Toni und Pie­ro fah­ren mit ihrem klei­nen Fischer­boot in die Lagu­ne um ihrer Arbeit nach­zu­ge­hen. Ein Gewit­ter zieht auf. Toni wird vom Blitz getrof­fen und stirbt. Nach der Trau­er um Toni ent­steht zwi­schen Alvi­se und Pie­ro ein tie­fer Kon­flikt. Alvi­se will das Fami­li­en­haus auf Giudec­ca in ein Feri­en­ap­par­te­ment umbau­en, Pie­ro will dar­an und am alten Leben auf Giudec­ca fest­hal­ten. Die­ses Dra­ma, in das die gan­ze Fami­lie invol­viert ist, bil­det das Leit­mo­tiv des Films und öff­net gekonnt ver­schie­de­ne Neben­the­men. Getra­gen wird die Geschich­te von der groß­ar­ti­gen schau­spie­le­ri­schen Leis­tung der bei­den Kon­tra­hen­ten, Pao­lo Pie­ro­bon (Pie­ro) und Andrea Pen­n­ac­chi (Alvi­se). Exzel­lent ver­kör­pern die bei­den zwei Cha­rak­te­re, die sich im Film sehr gegen­sätz­lich ent­wi­ckeln. Pie­ro tritt am Anfang des Films als rau­er, ver­bit­ter­ter, per­spek­ti­ven­lo­ser Tau­ge­nichts, dem das Leben bis­her nichts geschenkt hat, auf. Aber er ist ein sym­pa­thi­scher, ehr­li­cher Typ. Die­se Rol­le legt er immer mehr ab, wird immer geheim­nis­vol­ler und schel­mi­scher, fast phi­lo­so­phisch. Alvi­se tritt im Gegen­satz dazu als erfolg­rei­cher Geschäfts­mann auf, der genau weiß wie man es macht. Sei­ne Welt ist eine ober­fläch­li­che und er ver­sucht, es allen Recht zu machen. Im Lau­fe des Films zei­gen sich aber schnell sei­ne mensch­li­chen Schwä­chen und er gerät immer mehr unter Druck sei­ner Fami­lie und sei­ner Geschäf­te. Sei­ne Schein­welt zer­brö­selt immer mehr und zum Schluß sitzt er da und lacht über sich selbst. Die zwei Cha­rak­te­re ver­sinn­bild­li­chen zwei sehr unter­schied­li­che Gesich­ter Vene­digs und zum Schluss gibt es kei­nen Gewin­ner. Die zwei Brü­der sit­zen wahr­schein­lich heu­te noch in der Trat­to­ria auf Giudec­ca und befle­geln sich. Um die bei­den her­um wer­den aber auch star­ke Frau­en­cha­rak­te­re aufgebaut. 

Aber neben die­sem Dra­ma ist es das Leben in Vene­dig, das the­ma­ti­siert wird. Hier ist ganz deut­lich zu sehen, dass Andrea Seg­re auch im Doku­men­tar­film zu Hau­se ist, denn die ver­schie­de­nen Schau­plät­ze wer­den in einer stil­len Prä­zi­si­on gran­di­os visua­li­siert und von Matteo Calo­re in lang­sa­me, tie­fe Bil­der gefasst. Die Ruhe der Bil­der bezieht sich auf die inne­ren Kon­flik­te der Prot­ago­nis­ten und nicht auf die über­bor­den­de Hek­tik das Over­tou­rism die­ser schöns­ten Stadt der Welt. Das hat auch damit zu tun, dass der Film in der Pan­de­mie statt­fin­det und eine sel­te­ne Ruhe über der Lagu­ne liegt. So blitzt die Schön­heit der Stadt immer nur kurz auf, wie eine Neben­sa­che und der Blick wir auf ande­re Moti­ve aus­ge­dehnt. Beein­dru­ckend ist die Natur der rie­si­gen Lagu­ne, in der die Fischer ihrer Arbeit nach­ge­hen. Hier wird fast doku­men­ta­risch gezeigt, wie der All­tag für Berufs­fi­scher aus­sieht. In gro­ßen ein­dring­li­chen Bil­dern wird der Blick auf die außer­ge­wöhn­li­che Land­schaft mit Kanä­len, Salz­wie­sen, Was­ser, Vögel und Krab­ben gelenkt. Der Blick auf Giudec­ca geht dann von der Tota­len weg und zeigt lie­be­voll Details die­ser lang­ge­streck­ten Insel, die von einem Ufer auf das präch­ti­ge Vene­dig blickt und vom ande­ren Ufer auf die ein­tö­ni­ge Wei­te der Lagu­ne. Dem gegen­über steht das nüch­ter­ne Fest­land als etwas trau­ri­ge Alter­na­ti­ve zu einem immer schwie­ri­ger wer­den­den Leben in Venedig.

Sehr schön taucht auch immer wie­der bild­fül­lend eine beson­de­re Eigen­art Vene­digs auf, dass näm­lich jeg­li­cher Ver­kehr über das Was­ser statt­fin­det. Pie­ro fährt in sei­ner offe­nen Fischer­zil­le zur Arbeit in die Lagu­ne, hin­ter der wil­den mono­to­nen Lagu­ne tau­chen gro­ße Fracht­schif­fe auf, Avi­se steht allei­ne und ver­las­sen auf einem Vapo­ret­to und wenn es ums Geschäft­li­che geht, han­delt man das im Inne­ren eines ele­gan­ten Was­serta­xis ab. 

Andrea Seg­re, der gemein­sam mit Mar­co Pet­ten­el­lo auch für das Dreh­buch ver­ant­wort­lich zeigt, ist hier ein klei­nes Meis­ter­werk gelun­gen, indem er eine Geschich­te um Fami­lie und Erbe, Tra­di­ti­on und Wan­del so eng mit einem ver­meint­lich rea­len Ort ver­webt, dass wir ihm glau­ben. Dazu kommt, dass wir die Absur­di­tät Vene­digs ja selbst schon als Besu­cher erlebt haben. Aber Andrea Seg­re zeigt uns auch, dass Vene­dig abseits der Kulis­sen des Canal Gran­de eine land­schaft­li­che, sozia­le und wirt­schaft­li­che Rea­li­tät hat. Und um all das zu bre­chen, endet der Film mit einer sur­rea­len Sequenz. Wer Vene­dig liebt, wird die­sen Film lieben.

Ja und eines zeigt Wel­co­me Venice auch, die Vene­zia­ner haben ein The­ma, über das sie gemein­sam lachen kön­nen: die Touristen.