Warum Segler jammern und trotzdem die glücklichsten Menschen sind
Kennst du das Calimero-Syndrom? Geprägt vom Psychoanalytiker Saverio Tomasella, beschreibt es Menschen, die sich das Jammern und Klagen zum Lebensprinzip gemacht haben. Der Untertitel seines Buches Le syndrome de Calimero – „C’est vraiment trop injuste!“ – fasst es perfekt zusammen: Das Leben ist einfach zu ungerecht! Oder wie Calimero, das kleine Küken mit der Eierschale am Kopf, in seiner Muttersprache klagt: «È un’ingiustizia però!».
Aber was hat das mit Segeln zu tun? Mehr, als man denkt.
Wir Segler behaupten gern, wir seien die glücklichsten Menschen der Welt. Kein Büro, keine Hektik, nur Wind und Wellen. Schon der erste Schlag am offenen Wasser ist Glück pur. Doch bevor dieser Moment kommt, begegnen wir am Steg oft einem besonderen Typ: Capitano Calimero.
Du kennst ihn. Er stapelt Ersatzteile und Werkzeugkisten am Liegeplatz und antwortet auf die Frage „Wie läuft’s?“ mit einem tiefen Seufzen:
„Man wäre ja längst draußen am Wasser – aber…“
Was folgt, ist eine Liste des Grauens: Im Winterlager wollte man „nur ein paar Stellen im Gelcoat ausbessern“, aber das Wetter spielte nicht mit. Der Taupunkt war zu niedrig, die Zeit knapp, und dann kam das Überdrüber-Schleifgerät nicht rechtzeitig. Beim Einbau der neuen Bilgepumpe stellte man fest, dass die Werft beim Verlegen der Wasserleitungen gepfuscht hat. Und natürlich hat das alles ein Vermögen gekostet!
Und weil wir am Steg keine herzlosen Spielverderber sein wollen, stimmen wir freundlich ein. Mit der geballten Empathie eines echten Stegnachbarn werfen wir unsere eigene Leidensgeschichte in die Runde: „Oh ja, das kenne ich. Unser Batteriemonitor hat uns auch monatelang in den Wahnsinn getrieben! Und das neue WC… eine Katastrophe!“ Es wird gejammert, was das Zeug hält. Gemeinsam suhlen wir uns in unseren kleinen Dramen, während über uns die Sonne strahlt und eine sanfte Brise weht.
Am Ende des Gesprächs seufzen wir synchron: „Das Segeln kostet Nerven. Für jede Stunde auf See brauchen wir mindestens zwei für Reparaturen.“ Doch innerlich lächeln wir.
Man könnte meinen, wir Segler seien Pessimisten. Kleine Calimeros im Ölzeug, die sich ständig über die Unwägbarkeiten des Lebens beschweren. Klagen, sudern, lamentieren – das ist doch unser Hobby, oder?
Aber nein! Die Wahrheit ist: Trotz allem sind wir die glücklichsten Menschen der Welt.
Nimm einen stürmischen, kalten Segeltag. Ein Segel reißt, die Winschkurbel geht über Bord, der Gasherd versagt. Und doch freuen wir uns: Niemand ist über Bord gegangen, das Ölzeug hat dicht gehalten, und am Ende des Tages gibt’s statt warmem Gulasch eben Thunfisch aus der Dose. Resilienz ist unser zweiter Vorname.
Das Calimero-Syndrom? Das passt nicht zu uns. Ein echter Calimero verfällt in pessimistische Passivität. Segler hingegen sind immer in Bewegung: Schrauben, Polieren, Lackieren, Reparieren, Messen, Kleben, Putzen – wir sind ständig dabei, unser Boot bereit für die Freiheit zu machen.
Natürlich jammern wir. Aber insgeheim wissen wir: Wir haben das beste Leben. Und vielleicht gehört das Jammern einfach dazu. Es ist unser Weg, die kleinen Dramen des Segleralltags zu verarbeiten, ohne dabei zu vergessen, wie viel Glück wir haben.
Denn in dem Moment, in dem das Boot den Hafen verlässt, der Wind die Segel füllt und die Wellen glitzern, ist alles vergessen: die Gelcoat-Arbeiten, die verlegte Bilgepumpe, die teuren Ersatzteile. Genau dieser Moment macht jede Mühe wett.
Und das wissen wir Segler. Wir sind keine Calimeros. Wir sind Glückspilze, die gelegentlich jammern – aber immer mit einem Lächeln in den Wind blicken.