Jedes Jahr um Allerheiligen,wird an einem geheimnisvollen Ort in Wien eine Andacht abgehalten, bei der Kränze und Kerzen für die Verstorbenen niedergelegt werden. Dieser Ort ist als Friedhof der Namenlosen bekannt.
Er wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts in der Nähe des Alberner Hafens angelegt, um namenlosen Toten, die von der Donau angeschwemmt wurden, eine letzte Ruhestätte zu geben. Aufgrund starker Strömungen und gefährlicher Bedingungen im Hafen trieb das Wasser über die Jahre viele unbekannte Opfer an das Ufer, meist Menschen, deren Identität und Herkunft unbekannt blieben.
Die meisten Schicksale der Menschen, die hier beigesetzt sind, bleiben ein Rätsel, da viele dieser Toten ohne Papiere oder erkennbare Hinweise auf ihre Identität von der Donau angespült wurden. Die starke Strömung und Hochwasser führten dazu, dass immer wieder Menschen ins Wasser stürzten oder hineingerieten – sei es durch Unfälle, Suizid oder aus ungeklärten Gründen. Dieser Friedhof der Namenlosen liegt verborgen an den Ufern der Donau, umgeben von stillen Bäumen und wildem Gestrüpp. Wie eine Brücke zwischen der sichtbaren und der unsichtbaren Welt – ein Ort der Erinnerung.
Den österreicheschen Autor Michael Dangl hat der Friedhof der Namenlosen zu folgender Beschreibung inspiriert: „Hier ruhen sie, die vom Strom mitgerissen und von der Stadt vergessen wurden. Ein Ort, wo Namen keinen Klang mehr haben und Geschichten sich im Rauschen des Wassers verlieren.“
Und dieses traurig berührende Bild nehmen wir mit, denn es könnte auf alle am Grunde der Meere begrabenen zutreffen. Und es sind sehr viele, die Schätzungen gehen in die Millionen — aber so genau weiss das niemand. Die Ozeane waren über Jahrtausende Schauplatz von Seefahrten, Kriegen, Katastrophen und Migrationen, was dazu führte, dass viele Menschen, die auf See ihr Leben verloren, nie geborgen wurden.
Die großen Katastrophen kennen wir. Etwa den Untergang der Titanic, der dazu geführt hat, dass zwischen den Staaten eine Konvention zur Rettung auf See vereinbart wurde. Oder die britische Flotte unter Admiral Cloudesly Showel, die 1707 in einem Sturm auf Klippen auflief, was 1.400 Seeleuten das Leben kostete. Ursache war ein Navigationsfehler und das nahm Königin Anne zum Anlass, eine Belohung von 2000 Pfund auf die Lösung des Längengradproblems auszuschreiben. 255 v. Chr. geriet die riesige römische Flotte vor der Küste Siziliens in einen gewaltigen Sturm . Rund 270 Schiffe, voll beladen mit Soldaten, Kriegsbeute und Ausrüstung, wurden von den heftigen Winden und Wellen erfasst und zerstört. Schätzungen zufolge starben etwa 100.000 Menschen bei dieser Katastrophe.
Das sind nur Momente aus einer unendlich langen Liste. Und wenn wir zu unserem Mast hinaufschauen, werden wir ein Kreuz sehen. Dieses christliche Sinnbild ruft uns in Errinerung, dass es kein Leben ohne Tod gibt. So gedenken wir zu Beginn des Novembers auch der vielen Menschen, die ohne Trauerfeier am Meeresgrund begraben wurden.