ist der beste tag um über das meer nachzudenken

Sessel an Bord

Was macht zwei Sessel auf einer Yacht zur kleinen Revolution? Eine ungewöhnliche Idee, ein skeptisches Bootsbau-Team – und eine Erkenntnis, die bis heute nachwirkt: Manchmal braucht es gar nicht viel, um sich zuhause zu fühlen. Wir erzählen die Geschichte der ersten Armlehnsessel unter Segeln, warum unsere eigene Kajüte ganz ohne Möbelhauszauber auskommt – und weshalb uns gerade das so guttut. Eine Liebeserklärung an Räume, die bleiben dürfen, wie sie sind.

1985 wollte ein schwedischer Segler etwas, das aus heutiger Sicht geradezu bescheiden wirkt: zwei Sessel. Genauer gesagt: zwei bequeme eingebaute Armlehnsessel statt der üblichen Salonbank auf der Backbordseite seiner neuen Hallberg-Rassy 49. Die Werft war wenig begeistert. Sessel? Auf einer Segelyacht? Das klang nicht nur unpraktisch, es wirkte regelrecht ketzerisch – als wolle da jemand die sakrosankte Ordnung seegerechter Innenarchitektur durcheinanderbringen. Aber der Kunde war ein treuer Stammkunde, also erfüllte man ihm den Wunsch. Die Sessel kamen von einem Möbelhändler, gebaut aus hellem Buchenholz. Damit das Ganze halbwegs zur restlichen Mahagonieeinrichtung passte, wurden die Teile bei Hallberg-Rassy so intensiv gebeizt, dass sie kaum noch von echtem Mahagoni zu unterscheiden waren. Und so lief sie vom Stapel: die erste Segelyacht mit Sesseln an Bord.

Zur Boots-Messe in Oslo war diese Yacht eigentlich nicht vorgesehen – zu seltsam erschien sie dem Team. Aber da kein anderes Schiff verfügbar war, nahm man sie mit. Still und ohne jeden Hinweis auf das unkonventionelle Mobiliar. Doch dann geschah etwas Unerwartetes: Besucher setzten sich in die Sessel – und wollten gar nicht mehr aufstehen. „Wow, ich will auch Sessel!“, hieß es plötzlich überall. Der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte.

Vielleicht war es das, was dem Mann mit den Sesseln vorschwebte: ein Stück vertraute Wohnlichkeit, ein bisschen Wohnzimmer an Bord. Ein Ort, der nicht nur praktisch ist, sondern sich auch so anfühlt – nach Daheim. An Land ist unser Wohnraum ein ewiges Projekt. Wir rücken Möbel, streichen Wände, tauschen Lampen. Es gibt immer etwas zu gestalten, neu zu denken, schöner zu machen. Unsere Räume sind Ausdruck unserer Identität – sie sollen uns spiegeln, begleiten, bestätigen.

An Bord ist das anders. Unsere Kajüte verändert sich nicht. Sie lädt auch gar nicht dazu ein. Sie ist zweckmäßig, durchdacht – und ehrlich gesagt: manchmal unbequem. Und doch lieben wir sie. Vielleicht gerade deshalb. Hier dominiert nicht der Stil, sondern der Kurs. Kein Pinterest, keine Wohnideen, keine Sonntagsbesuche im Möbelhaus. Die Kajüte fragt nicht, wie wir wohnen wollen. Sie fragt, wie wir leben wollen. Und sie gibt darauf eine klare Antwort: reduziert, zweckvoll, frei. Wir vermissen nichts. Kein neues Sofa. Keine neue Farbe an der Wand. Keine Deko, die mit den Jahreszeiten wechselt. Stattdessen freuen wir uns, wenn alles an seinem Platz ist, nichts klappert und der Kaffee nicht umfällt. Und manchmal reicht das vollkommen aus.

Unsere Kajüte ist kein Ort der Veränderung. Sie ist ein Ort der Ruhe. Ein Innenraum, der sich nicht neu erfindet, sondern mit jedem Törn tiefer in unser Leben einsinkt. Draußen atmet das Meer, unberechenbar und weit. Nur ein paar Planken trennen uns davon. Und doch: drinnen ein Licht, das heimelig ist. Eine Ecke, in der alles seinen Platz hat. Kein Überfluss, kein Prunk. Nur das, was trägt. Wir wohnen zwischen Himmel und Wasser. Zwischen Bewegung und Stillstand. Unsere Kajüte muss nichts darstellen – sie darf einfach sein. Und wir mit ihr. Vielleicht ist das der Unterschied: An Land versuchen wir, unsere Räume an uns anzupassen. Auf See passen wir uns dem Raum an. Und das tut gut. Nicht, weil wir damit aufgeben – sondern weil wir angekommen sind.

(Die Geschichte über die Sessel ist aus dem Buch „The Story about Hallberg-Rassy, Seite 208)

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